(Text to cover in Nature) © Alfred-Wegener-Institut/J. McKay (Creative Commons licence CC-BY 4.0): Rekonstruktion der Westantarktis vor rund 90 Millionen Jahren. Da wo heute das antarktische Eisschild den Boden bedeckt, fanden Forschende Hinweise für einen gemäßigten, sumpfigen Regenwald.
Geowissenschaftler aus Deutschland, Großbritannien, Polen und Irland haben ein neues und bislang einzigartiges Fenster in die Klimageschichte der Antarktis aufgestoßen. In einem Sedimentbohrkern, den sie im Jahr 2017 im Meeresgebiet vor dem westantarkti-schen Pine-Island-Gletscher geborgen haben, fanden sie nahezu ursprünglich erhaltenen Wald-boden aus der Kreidezeit, einschließlich vieler Pflanzenpollen und -sporen sowie eines dichten Wurzelnetzwerkes. Die Vegetationsüberreste belegen, dass vor etwa 90 Millionen Jahren ein ge-mäßigter, sumpfiger Regenwald im Küstenbereich der Westantarktis wuchs und die Jahresdurchschnittstemperatur etwa 12 Grad Celsius betrug – ein für das Südpolargebiet außergewöhnlich warmes Klima, welches nach Auffassung der Forschenden nur möglich wurde, weil der antarktische Eisschild fehlte und die Kohlendioxidkonzentration in der Atmosphäre deutlich höher war als Klimamodellierungen bislang vermuten ließen. Die Studie, welche die südlichsten direkt ver-wertbaren Klima- und Umweltdaten aus der Kreidezeit liefert und Klimamodellierer auf der ganzen Welt vor neue Herausforderungen stellt, erscheint heute im Fachmagazin NATURE. Die mittlere Kreidezeit vor circa 115 bis 80 Millionen Jahren gilt nicht nur als das Zeitalter der Dinosaurier, sie war auch die wärmste Periode der zurückliegenden 140 Millionen Jahre. Nach bisherigem Wissensstand betrug die Meeresoberflächentemperatur in den Tropen damals rund 35 Grad Celsius; der Meeresspiegel lag bis zu 170 Meter höher als heute. Unbekannt war bis jetzt jedoch, wie das Klima zu jener Zeit in der Antarktis aussah, denn aus der Südpolarregion gab es bislang keine Klimaarchive aus dieser wärmsten Phase der Kreidezeit. Einem internatio-nalen Wissenschaftlerteam unter der Leitung von Geowissenschaftlern des Alfred-Wegener-Institutes, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) ist es nun erstmals gelungen, ein solches Kreide-Klimaarchiv in der Antarktis zu bergen und auszuwerten. In einem Sedimentkern, den die Forschenden im Februar 2017 auf einer Polarstern-Expedition in das Meeresgebiet vor dem westantarktischen Pine-Island-Gletscher mit Hilfe des am MARUM, Universität Bremen, entwickelten Bohrgerätes MeBo70 erbohrt haben, fanden sie nahezu ur-sprünglich erhaltenen Waldboden aus der Kreidezeit. „Bei der ersten Begutachtung an Bord fiel uns sofort die ungewöhnliche Färbung dieser Sedimentschicht auf. Sie unterschied sich deutlich von den Ablagerungen darüber. Erste Analysen ließen zudem vermuten, dass wir in einer Tiefe von 27 bis 30 Metern unter dem Meeresboden auf eine Schicht gestoßen waren, die sich einst an Land gebildet haben musste und nicht im Meer“, berichtet Erstautor Dr. Johann Klages, Geologe am AWI.
Welch einzigartiges Klimaarchiv die Forscher jedoch tatsächlich geborgen hatten, offenbarte sich erst, als der Sedimentkern in einem Computertomographen (CT) untersucht wurde. Die CT-Aufnahmen zeigten ein dichtes Wurzelgeflecht, welches sich durch die gesamte Bodenschicht aus sehr feinkörnigem Ton und Silt zog und so gut konserviert war, dass die Wissenschaftler ein-zelne Zellverbände erkennen konnten. Außerdem enthielt die Bodenprobe zahllose Pollen und Sporen verschiedener Gefäßpflanzen, darunter auch Spuren der ersten Blütenpflanzen der Antarktis.
„Die vielen pflanzlichen Überreste deuten darauf hin, dass der Küstenbereich der Westantarktis vor 93 bis 83 Millionen Jahren eine Sumpflandschaft bildete, in der ein gemäßigter Regenwald mit vielen Nadelhölzern und Baumfarnen wuchs – so, wie man hin heutzutage zum Beispiel noch auf der Nordinsel Neuseelands findet“, sagt Mitautor Prof. Ulrich Salzmann, Paläoökologe an der Northumbria University im englischen Newcastle upon Tyne.
Die Ergebnisse der Vegetationsanalyse stellten die Forscher vor ein Rätsel: Unter welchen Klimabedingungen konnte damals auf einer geografischen Breite von etwa 82 Grad Süd ein gemäßigter Regenwald wachsen? Der antarktische Kontinent lag auch schon in der Kreidezeit am Südpol. Das heißt, in der Region, aus welcher der Waldboden stammte, herrschte gut vier Mo-nate lang Polarnacht. Energiespendendes Sonnenlicht fehlte demzufolge ein Drittel des Jahres. „Um eine genauere Vorstellung vom Klima dieser wärmsten Phase der Kreidezeit zu bekommen, haben wir zunächst untersucht, unter welchen Klimabedingungen die heute lebenden Verwandten der damaligen Pflanzen existieren“, berichtet Johann Klages. Anschließend suchten die Forschenden im Waldboden nach biologischen und geochemischen Temperatur- und Niederschlagsanzeigern, auf deren Basis sie die Luft- und Wassertemperatur des westantarktischen Kreide-Regenwaldes sowie die Regenmenge rekonstruieren konnten.
Die Ergebnisse der vielen verschiedenen Analysen passen wie die Teile eines Puzzles zusammen: Vor etwa 90 Millionen Jahren herrschte in der Westantarktis ein gemäßigtes Klima. Die Lufttemperatur betrug im Jahresdurchschnitt etwa 12 Grad Celsius. Das heißt, zur Kreidezeit war es in der Südpolarregion im Mittel etwa zwei Grad wärmer als aktuell in Deutschland. Die Sommer im Südpolargebiet waren im Schnitt circa 18 Grad Celsius warm; die Wassertemperatur der Flüsse und Sümpfe stiegen auf Werte um die 20 Grad Celsius. Geregnet hat es in der Westantarktis in etwa so häufig und stark wie heutzutage in Wales.
Diese neuen Vegetations-, Temperatur- und Niederschlagsdaten aus der Westantarktis nutzen die Forscher anschließend als Zielangabe für Simulationen des Klimas der mittleren Kreide in einem Klimamodell. Ihre Berechnungen mit einem Paläo-Klimamodell ergaben, dass die rekonstruierten Bedingungen nur dann erreicht werden konnten, wenn
der antarktische Kontinent von einer dichten Vegetation bedeckt wurde,
es in der Südpolarregion weder Meereis noch Landeismassen von der Größe eines Eisschildes gab und
die Kohlendioxidkonzentration in der Atmosphäre weitaus höher war als dies bislang für die Kreidezeit angenommen wurde.
„Bis zu unserer Studie ging man davon aus, dass die globale Kohlendioxidkonzentration im Zeit-alter der Kreide bei etwa 1000 ppm lag. In unseren Modellversuchen aber waren Konzentrationswerte von 1120 bis 1680 ppm notwendig, um die damaligen Temperaturen in der Antarktis zu erreichen“, sagt Mitautor Dr. Torsten Bickert, Geowissenschaftler am MARUM, Universität Bremen.
Die Studie zeige somit, welch enorme Wirkungskraft das Treibhausgas Kohlendioxid besitze. „Wir wissen jetzt, dass die Sonneneinstrahlung in der Kreidezeit ruhig vier Monate lang ausbleiben konnte. Bei einer entsprechend hohen Kohlendioxidkonzentration herrschte dennoch ein gemäßigtes Klima ohne Eismassen am Südpol“, sagt Mitautor und AWI-Klimamodellierer Prof. Dr. Gerrit Lohmann und fügt hinzu: „Die große Frage lautet nun: Wenn es damals in der Antarktis so warm werden konnte, wie konnte sich das Klima nach der Kreide so stark abkühlen und Eis aufbauen? In unseren Klimasimulationen konnten wir darauf noch keine zufriedenstellende Antwort finden.“ Die Ursachen für solche Kipppunkte zu finden, ist jetzt Aufgabe und Herausforderung der internationalen Klimaforschung.
Der in der Studie untersuchte Sedimentkern wurde auf der Expedition PS104 des deutschen Polarforschungsschiffes Polarstern (6. Feb.-19. März 2017) in das Amundsenmeer geborgen. Die Bohrung wurde mit dem am MARUM in Bremen entwickelten Meeresbodenbohrgerät MeBo70 vorgenommen, das zum ersten Mal am Rande der Antarktis eingesetzt wurde. Die CT-Untersuchungen wurden im Klinikum-Mitte in Bremen durchgeführt. An der Studie waren Forschende folgender Institutionen beteiligt:
• Alfred-Wegener-Institut, Bremerhaven
• Northumbria University, Newcastle upon Tyne, Großbritannien,
• MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften, Universität Bremen
• British Antarctic Survey, Cambridge, Großbritannien
• Fachbereich Geowissenschaften, Universität Bremen
• Institut für Geowissenschaften, Universität Kiel
• Institut für Geophysik und Geologie, Universität Leipzig
• Polnische Akademie der Wissenschaften, Krakau, Polen
• Department of Geology, Trinity College Dublin, Irland
Klages, J.P., Salzmann, U., Bickert, T., Hillenbrand, C.-D., Gohl, K., Kuhn, G., Bohaty, S., Titschack, J., Müller, J., Frederichs, T., Bauersachs, T., Ehrmann, W., van de Flierdt, T., Simões Pereira, P., Larter, R.D., Lohmann, G., Niezgodzki, I., Uenzelmann-Neben, G., Zundel, M., Spiegel, C., Francis, J.E., Nehrke, G., Schwarz, F., Smith, J.A., Freudenthal, T., Esper, O., Pälike, H., Ronge, T., Dziadek, R., and the Science Team of Expedition PS104, 2020: Temperate rainforests near the South Pole during peak Cretaceous warmth. Nature, 580, 81–86. doi:10.1038/s41586-020-2148-5 (link) (cover) (data) (model output)
Niezgodzki, I., G. Knorr, G. Lohmann, J. Tyszka, P. J. Markwick, 2017: Late Cretaceous climate simulations with different CO2 levels and subarctic gateway configurations: A model - data comparison. Paleoceanogr. 32 (9), 980–998. DOI: 10.1002/2016PA003055 (link) (pdf)
Niezgodzki, I., J. Tyszka, G. Knorr, and G. Lohmann, 2019: Was the Arctic Ocean ice free during the latest Cretaceous ? The role of CO2 and gateway configurations. Global and Planetary Change, 177, 201-212. doi:10.1016/j.gloplacha.2019.03.011 (link) (pdf)
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